LA LIBERAZIONE DI RUGGIERO
Vor 400 Jahren, zur Karnevalszeit 1625, wurde in Florenz die Oper »La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina« von Francesca Caccini aufgeführt, es ist das früheste uns bekannte Bühnenwerk einer Frau. Katharina Bäuml hat das Stück mit ihrem Ensemble Capella de la Torre gründlich neu bearbeitet und führt es bei SPAM in einer halbszenischen Fassung auf.
Francesca Caccini (1587–1640)
La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina
sowie Werke von
Salomone Rossi (um 1570– um 1630)
Diego Ortiz (um 1510–1570)
Maurizio Cazzati (1616–1678)
Lucas Ruiz de Ribayaz (1626–1677)
Besetzung
(7.3.25 in der Zitadelle Spandau)
Capella de la Torre
Margaret Hunter, Sopran
Eric Price, Tenor
Laura Siegmund, Tanz
Hildegard Wippermann, Altpommer
Birgit Bahr, Altpommer
Annette Hils, Bassdulzian
Daniel Seminara, Laute
Yosuke Kurihara, Posaune
Martina Fiedler, Orgel
Mike Turnbull, Percussion
Katharina Bäuml, Schalmei und Leitung
Mirella Weingarten, Regie

Drei Fragen an Katharina Bäuml
im Gespräch mit Bernhard Schrammek
Mit Ihrem Ensemble Capella de la Torre haben Sie in den vergangenen 20 Jahren ein riesiges Repertoire aus dem 15. bis 17. Jahrhundert erschlossen. Wie schätzen Sie mit dieser Kenntnis das Werk von Francesca Caccini ein?
Wenn man sich mit Musik der Renaissance beschäftigt, hat man es ja in den seltensten Fällen mit Komponistinnen zu tun. Das ist in dieser Hinsicht auch etwas ganz Neues für uns und ich freue mich sehr darauf, dass wir mit Capella de la Torre diese Oper von Francesca Caccini mit neuen Augen betrachten können und auch versuchen wollen, unsere Art, mit Musik umzugehen, auf die Komposition zu übertragen. Ich glaube, dass man die Musik von Francesca Caccini am besten verstehen kann, wenn man den Blick weitet und das Umfeld anschaut, aus dem sie kommt – also ihre musikalische Familie, aber auch die gesamte musikalische Landschaft in Italien. Für mich ist es immer interessant zu sehen, was man aus der Perspektive der Renaissance in dieser frühbarocken Musik alles Neues entdecken kann. Das beschäftigt mich bei diesem Stück ganz besonders, wenn es darum geht, die Instrumentierung oder auch die Dramaturgie zu entwerfen.
Es wird bei SPAM 25 eine halbszenische Aufführung der Oper »La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina« geben, genau 400 Jahre nach der Uraufführung. Wie planen Sie, diese Handlung darzustellen?
Wir freuen uns, bei SPAM gemeinsam mit der Regisseurin Mirella Weingarten eine halbszenische Fassung anbieten zu können. Wir haben bereits mit der Arbeit begonnen und zwar mit der Maßgabe, einerseits die Geschichte zu erzählen, auf der anderen Seite aber auch die herkömmliche Trennung zwischen Sänger*innen als handelnde Akteur*innen und den sonst nur begleitenden Instrumentalist*innen zu durchbrechen. Wir wollen, dass auch jeder und jede Instrumentalist*in auf eine gewisse Art in die Dramaturgie einbezogen wird, also nicht starr hinter seinem Notenständer steht, sondern sich zum Spiel bewegt. Wir haben beispielsweise ausprobiert, ob Schalmei-Spielen auch im Liegen geht, und ich darf sagen: Es funktioniert! Mirella Weingarten hat dann noch ein sehr reduziertes Bühnenbild entworfen, im Prinzip ist es eine große Bank, die in der Mitte steht und das Zentrum der Handlung ist, weil sie in unterschiedlichen Funktionen immer eingesetzt wird. Zusätzlich wird es eine Videoprojektion mit einzelnen kurzen Sätzen geben, die das Verständnis der Handlung vereinfachen.
Mit welcher vokaler bzw. instrumentaler Besetzung wird die Oper zu erleben sein?
Wenn man sich die Partitur der »Liberazione« anschaut, dann fallen vor allem zwei Dinge auf. Einmal gibt es unglaublich viele rezitativische Dialoge der Hauptfiguren, zum anderen ist gar nicht alle Musik überliefert, die wir eigentlich brauchen für diesen Opernabend. So fehlt zum Beispiel das »Pferdeballett«, mit dem das Stück beendet wurde, und wir können rätseln, welche Musik das damals gewesen sein könnte. Das wiederum gibt uns die Freiheit, als Ensemble einzelne Stücke einzufügen, damit das Ganze einen Bogen bekommt. Beispielsweise wird es einen Handlungsstrang geben, dass Musik über »Ruggiero« – der ja die Hauptfigur ist – von unterschiedlichen Komponisten als Einschub oder auch »Erkennungsmelodie« immer wieder zu hören ist, wo es die Originalmusik von Francesca Caccini erlaubt.

Ein Meilenstein der Musikgeschichte: Die erste Oper einer Komponistin
von Bernhard Schrammek
Am 3. Februar 1625 kam es in der noblen Villa Poggio Imperiale in Florenz zu einer denkwürdigen Aufführung: Unter der Anwesenheit von Vertretern der Medici-Familie sowie hochrangiger Gäste wurde die Oper »La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina« auf die Bühne gebracht. Und das war, rund ein Vierteljahrhundert nach der Entstehung dieser Gattung, die erste Oper von der Hand einer Komponistin: Francesca Caccini.
Dass ausgerechnet Florenz der Austragungsort dieser Opernvorstellung war, überrascht nur wenig. Denn hier befand sich um 1600 die »Wiege« des neuen Musikstils. Über Jahre trafen sich hier Musiker, Dichter, Wissenschaftler und Mäzene, um über eine Veränderung des alten, polyphonen Stils in Richtung eines besser verständlicheren Ausdrucks in der Musik zu diskutieren und entsprechende Werke anzufertigen.
Ein Mitglied dieses Kreises war Giulio Caccini, seineszeichens Sänger, Komponist und Gesangslehrer am Hof der Medici in Florenz. Seine Sammlung »Le Nuove Musiche« von 1602 gilt als eines der wichtigsten Beispielwerke für den neuen Stil, es handelt sich überwiegend um monodische Kompositionen, also Werke für eine Stimme und Basso continuo. Giulio Caccini war es auch, der in Florenz erste musikalische Bühnenwerke vorstellte, unter anderem im Jahre 1600 die Oper »L’Euridice«.
Gleichzeitig war Giulio Caccini der Vater zweier hochmusikalischer Töchter – Francesca und Settimia. Beide wuchsen inmitten dieser reichhaltigen musikalischen Kultur in Florenz auf, wurden vom Vater unterrichtet und wirkten schon als Kinder in Opernaufführungen mit.
Die hohe Musikalität von Francesca Caccini sprach sich in adligen Kreisen schnell herum, so dass gleich mehrere Höfe sich bemühten, die junge Frau in ihre Dienste zu verpflichten: Bei einem Gastspiel in Paris 1605 wurde ihr eine Stelle angeboten, wenig später meldeten sich auch der Herzog von Ferrara und ein hochrangiger Fürst aus Rom, um Francesca Caccini zu engagieren. An dieser Stelle sprach dann Ferdinando de Medici aber ein Machtwort und bot ihr kurzerhand eine gut bezahlte Stelle an seinem Hof an. Auf diese Weise blieb Francesca Caccini lebenslang in Florenz und etablierte sich hier als Sängerin, Lautenistin und Cembalistin sowie als Komponistin.
Rund ein Dutzend Opern hat Francesca Caccini komponiert, leider ist nur eine einzige davon erhalten geblieben, und das auch nur, weil das Werk sogleich im Druck veröffentlicht wurde. Diese eine erhalten Oper trägt den Titel »La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina« (Die Befreiung Ruggieros von Alcinas Insel), sie nimmt also eine Handlung aus dem Epos »Orlando furioso« von Ariost auf. Das Libretto dazu hat Ferdinando Saracinelli verfasst, ein Dichter am Florentiner Hof. Zugeschnitten ist die Handlung ganz auf Ruggiero, dessen Schicksal von zwei Zauberinnen bestimmt wird: die hinterhältige Alcina und die weise Melissa.
Musikalisch bedient sich Francesca Caccini überwiegend des modernen monodischen Stils: Alle Hauptdarsteller singen in dieser Weise im rezitativischem Stil, aber auch in kleineren Arien, Duetten und Terzetten. Am gewählten Schwierigkeitsgrad ist auch die Qualität der damailigen Hofsängerinnen zu erkennen. Lediglich chorische Passagen sind noch weitgehend im alten, polyphonen Stil verfasst, was einen reizvollen Kontrast ergibt.
