Renaissancemusik & Karate
Diese Idee hatte noch niemand: Renaissancemusik und Karate zusammenzubringen. Erst Capella de la Torre unter der Leitung von Katharina Bäuml und der italienische Karatelehrer Maurizio Castrucci machten die Entdeckung, wie gut beide Künste zusammenpassen.
Doch wie kam es dazu?
Schlaflos auf der Rückreise von einer Japan-Tournee suchte Katharina Bäuml spätnachts die Teeküche des Langstreckenfliegers auf. Dort traf sie den italienischen Karateka Maurizio Castrucci – einen der großen Meister seiner Disziplin, wie sich herausstellen sollte. Man kam ins Gespräch. Beim Austausch über das in Japan Erlebte stellten die beiden manche Übereinstimmung fest: Sowohl in der ostasiatischen Kampfsporttradition des Karate Shōtōkan, vor allem in deren fest vorgegebenen Bewegungsfolgen, den sogenannten Katas, als auch in der geistlichen Musik der Renaissance geht es um hochgradig ritualisierte Künste, die sich mit den Grunderfahrungen der menschlichen Existenz auseinandersetzen. Hier wie dort ist es Ziel der Übung, „die Seele zu vervollkommnen“, wie es in den „Dōjōkun“ heißt, den Regeln für das Training der Kampfkünste.
...und wie beides verbunden wird!
Wir haben uns in den letzten Jahren die Frage gestellt, wie wir als Menschen von heute noch die polyphone Musik der Renaissance verstehen können.
Vor 500 Jahren waren die Gegebenheiten nämlich noch anders: Man hörte Polyphonie auf der Basis gregorianischer Gesänge im Kirchenjahr, die jedem Gläubigen bekannt waren. Die Musik stand im direkten Kontext zu einem sakralen Bau, sie war oft Teil des Gottesdienstes und an starke Rituale gebunden.
Ebenso starke Rituale sind Teil der Kampfkunst Martial Arts, dem Karate Shotokan Stil, im besonderen von Kata. Durch das Zusammenspiel der beiden Künste entsteht eine weitere Dimension; Polyphonie und Karate behalten dabei ihre Wurzeln und sind auch je einzeln für sich verständlich.
Deshalb haben wir neue Konzertprojekte entwickelt, in denen wir z.B. ein Mess-Ordinarium von Josquin Desprez (1450-1521) – seine Missa Pange Lingua – mit Gregorianik und drei verschiedenen Kata kombiniert haben, die sowohl in Stille als auch in Teilen zur Musik ausgeführt werden.
Verbindendes Element ist dabei vor allem der Fluss des Atems, der sowohl in den Kampfkünsten als auch in der Musik, besonders für die Blasinstrumente von Capella de la Torre, eine entscheidende Rolle spielt. Andererseits ist es der Rhythmus: Mal verbindet er die einzelnen Schichten in der Regelmäßigkeit eines Herzschlages, mal als unvorhergesehener Ausbruch einer neuen Dimension. Rituale und das sorgsam überlieferte Wissen von Jahrhunderten erscheinen so in ganz aktuellem Licht, ohne den jeweiligen Kontext zu verlieren.
Was haben Renaissancepolyphonie und Martial Arts gemeinsam?
Inhaltlich ist es der Glaube an die Kraft des Universums und die Idee, diese Kraft aufzunehmen und zu bündeln; formal ist es das mönchische Leben (oder dessen heutiges Äquivalent), das die Grundlage für die größtenteils liturgisch bestimmte Musik der Renaissance ebenso wie für die Ausübung der Martial Arts darstellt.
Gemeinsam mit dem italienischen Karatelehrer Maurizio Castrucci, nimmt die Capella das Publikum mit auf eine Reise zum Zentrum von Kraft und Konzentration.
In unseren Konzerten werden die Grenzen zwischen Mitwirkenden und Publikum fließend – in der Kombination aus Stille, Polyphonie, und Kata (stilisiert rituelle Kampfform des Karate Shotokan).
Dabei entstehen neue Räume: Indem weder Karate, noch Renaissancemusik abgeändert werden, ergeben sich erstaunliche neue Perspektiven, die zu den allgemeinen Grundfragen des Menschseins zurückführen – Rhythmus und Fluss des Atems.
TV-Bericht bei SWR Aktuell
The way to the performance ...
Tireless rehearsals, immense discipline and a large portion of humility are the prerequisites for a practice that not only meets the highest demands in terms of craftsmanship, but should also reveal the spiritual dimensions of the rituals practiced. In the 500-year-old vocal polyphony from Central Europe as well as in the art of movement that emerged on Okinawa in the 19th century, breath, heartbeat and rhythm in general are the connecting elements. This is how the idea for this unique, experimental project in the most beautiful sense of the word came about. East and West, visual and acoustic events, martial arts and Christian piety enter into an exciting dialogue without losing their cultural independence and fascinating foreignness. Sometimes the musicians react in concert to the katas of the black belt wearer in spontaneous improvisation. But above everything lies the silence of perfect concentration ...